Abschied von Hans Jellouschek

Hans Jellouschek
Foto: Rolf Balling

 

 

 

Dr. Hans Jellouschek
21.01.1939 - 22.9.2021

Wir trauern um Dr. Hans Jellouschek.

Wir nehmen Abschied von einem liebenswerten und gütigen Menschen und von einem wegweisenden Paartherapeuten, Lehrer und Autor.

Er hinterlässt uns ein großes Lebenswerk.


In tiefer Dankbarkkeit und Wertschätzung
Marianne Walzer
Hans Jellouschek Institut Tübingen-Ravensburg

 

Interview der ehem. Chefredakteurin der "Psychologie Heute" Ursula Nuber mit Hans Jellouschek (2007)

 

als PDF, im Original-Layout

 

Das Porträt: Hans Jellouschek

von Ursula Nuber

PSYCHOLOGIE HEUTE Oktober 2007

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin

 

„Ich fühle mich immer noch als Theologe“

 

Er kennt sich aus mit der Liebe. Aus eigener Erfahrung und aus seiner 30-jährigen Arbeit mit Menschen, deren Beziehungsschiff in schwierige Gewässer geraten ist. Hans Jellouschek gilt als Deutschlands bekanntester Paartherapeut. Dabei wäre fast ein Priester aus ihm geworden

 

Wenn man auf der Autobahn A 81 von Stuttgart in Richtung Singen oder in der Gegenrichtung unterwegs ist, muss man damit rechnen, dass man länger ans Ziel braucht. Staus sind auf dieser Strecke an der Tagesordnung. Nimmt man dann aber nach anstrengender Fahrt die Ausfahrt „Herrenberg“ und biegt in die Bundesstraße B 28 Richtung Ammerbuch ein, verändert sich die Szenerie schlagartig und mit ihr auch das Gefühl. Vor einem breitet sich leicht hügelig eine weite Landschaft aus, die einen sofort vom Modus des Rasens in den des Reisens gleiten lässt. Ruhe kehrt ein, Auge und Seele können ausruhen.

 

Diesen Effekt verspüren sicher auch jene Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, einem ganz anderen Stau zu entkommen: Paare, deren Beziehungsfluss ins Stocken geraten ist und die in Ammerbuch eine Antwort auf ihre quälenden Fragen finden wollen. Warum warst du mir untreu? Hat unsere Liebe noch eine Zukunft? Wieso begehren wir uns nicht mehr? Warum nur streiten wir uns ständig? Warum bist du mehr mit deinem Beruf als mit mir verheiratet? Hoffnungsvoll suchen sie den Experten auf, der in Ammerbuch sein Praxis- und Seminarhaus besitzt. Wohl die meisten Ratsuchenden kennen ihn aus den Medien, die ihnen diesen Mann als „Beziehungspapst“ oder als „Deutschlands bekanntesten Paartherapeuten“ anpreisen. Und wahrscheinlich haben sie auch eines seiner zahlreichen Bücher gelesen.

 

Hans Jellouschek kann mit den Titulierungen wenig anfangen, wehrt sie sogar ab. Bekannt sei er sicher, räumt er ein. Das habe er seinen Buchveröffentlichungen zu verdanken. Aber mit dem Begriff „bekanntester Paartherapeut“ mag er sich nicht anfreunden. Nach welchen Kriterien sollte man das beurteilen? Bedeutet „bekannt“ gleich „gut“? Da gibt es sicher ganz viele ebenso gute oder sogar bessere Paartherapeuten, wiegelt er ab. Warum so bescheiden? Bescheiden sei er nicht, stellt er klar, nur realistisch. Und lacht. Dieses Lachen und seine hochgewachsene, schlaksige Gestalt machen es einem schwer, sein Alter einzuschätzen. In dem 68-Jährigen steckt eine gehörige Portion Jugend, eine Lebendigkeit, die möglicherweise viel damit zu tun hat, dass das Schicksal ihn oft herausforderte.

 

Wenn er sein bisheriges Leben in einem Bild darstellen sollte, dann würde er wohl eine Linie malen, die „sehr stark auf und ab geht, mit der Gesamttendenz nach oben“. Brüche, Abbrüche, Neuanfänge - das ist das Muster, das sich durch seine Biografie zieht. Gerade dieses Muster aber befähigt ihn wohl wie keinen Zweiten, sich in die Lage von Menschen einzufühlen, deren Leben aus der Bahn geraten ist. So sind die Spuren eigener Erfahrungen seiner Arbeit mit Paaren und in den Themen seiner Bücher deutlich abzulesen. Zum Beispiel die Erfahrung, dass durch eine starke Bindung an einen Elternteil die eigene Liebesfähigkeit gefährlich blockiert werden kann. Oder das in den unterschiedlichsten Lebenssituationen spürbare Gefühl, nicht dazuzugehören.

 

„Ich war nie ein Junge unter anderen Jungen, sondern stand immer etwas abseits“, erinnert sich der in Linz geborene Jellouschek an seine Schulzeit. Das liegt zum einen an seiner anfänglichen Überforderung im Gymnasium. „Weil ich mir die kompliziertesten Indianernamen merken konnte, hat meine Mutter geglaubt: Wenn er das kann, dann kann er sich auch Lateinvokabeln merken. Das aber war nicht der Fall." Die Familie setzt hohe Erwartungen in ihn, doch er erfüllt sie nicht. „Ich war in Latein viel schlechter als erwartet und in Mathematik akut gefährdet.“ Das Abseitsstehen liegt aber sicher auch daran, dass er als dicker Junge beim Sport nicht mithalten kann. Seine Kameraden spotten über ihn. Die Liebe und Fürsorge seiner Mutter hat sich auf seinen Hüften abgelagert. In der schwierigen Nachkriegszeit setzt sie ihren ganzen Ehrgeiz ein, um für den Sohn die besten Lebensmitteln heranzuschaffen. „Sie hat mich in die Breite gefüttert“, sagt der heute sehr schlanke Mann.

 

Überhaupt, die Mutter! Jellouschek bezeichnet sich rückblickend als „Muttersöhnchen". Ihn, den Jüngsten - der Bruder ist acht, die Schwester fünf Jahre älter - bindet die Mutter sehr stark an sich. Das beschert ihm einerseits ein gutes Einfühlungsvermögen in Frauen, andererseits aber belastet es ihn mit der Notwendigkeit, sich mit diesem Thema im Laufe seines Lebens schmerzhaft auseinanderzusetzen. Zum Vater, 15 Jahre älter als die Mutter und bei der Geburt des Jüngsten schon fast 50, hat er keine echte Beziehung. Dieser sensible, „manchmal übersensible" Mann kann ihm keine Orientierung in Sachen Männlichkeit geben. „Ich habe ihn oft als ängstlich erlebt."

 

Die überbehütende Mutter, der nicht präsente Vater - beide haben ihren großen Anteil an dem bedeutsamen Schritt, zu dem sich Hans Jellouschek nach dem Abitur entschließt. Der Mann, der später Psychotherapeut werden soll, fühlt sich als 18-Jähriger zu ganz anderem berufen. Als Schüler hat er sich aus seiner anfänglichen Abseitsposition befreit und sich eine angesehene Stellung in einer von Jesuiten geleiteten Jugendgruppe erarbeitet. Dafür erhält er viel Anerkennung. Nun tritt er in den Jesuitenorden ein. Das war, erinnert sich Jellouschek, eine „typische Muttersohn-Berufswahl“: „Einerseits habe ich mich entschieden, ganz weit weg von meiner Mutter zu gehen. Andererseits habe ich einen Berufsweg eingeschlagen, der mich davor bewahrt hat, eine andere Beziehung als die zu meiner Mutter einzugehen. Das war eine Kompromisswahl.“ Zudem ist der Orden eine reine Männergesellschaft, die Jesuiten besetzen die Leerstelle, die der schwache Vater hinterlassen hat. Der Orden ist ein Zufluchtsort für Hans Jellouschek, er bietet ihm ein Moratorium - das Erwachsenwerden und alle damit verbundenen Entscheidungen können erst noch mal warten.

 

In den zwei Jahren des Noviziats darf er seine Eltern nur zweimal sehen, der Briefkontakt wird zensiert. Am Ende dieser zwei Jahre legt er die Gelübde ,,Armut, Keuschheit und Gehorsam“ ab. Danach studiert er Philosophie an der Hochschule der Jesuiten in Pullach bei München und anschließend Theologie in Innsbruck und Tübingen. Wie im Gymnasium muss er wieder die Erfahrung machen, dass ihm der Erfolg nicht einfach in den Schoß fällt, er muss ihn sich hart erarbeiten. Doch was ihm schon als Schüler gelungen ist, gelingt ihm nun erneut: Er stellt sich den Herausforderungen, wächst über sich und auch über andere hinaus. Jellouschek wird zum „Starphilosophen", der bei Prüfungen Höchstpunkte erreicht und bei öffentlichen Disputationen auf sich aufmerksam macht. Das philosophische und theologische Weltgebäude, das er sich zimmert, gibt ihm Halt. Eine Zeitlang scheint alles perfekt, die Zukunft als Priester liegt klar vor ihm.

 

Aber dann gerät Hans Jellouscheks so scheinbar fest gefügte Welt langsam ins Wanken. Immer weniger kann er verleugnen, dass das Leben bei den Jesuiten defizitär ist. Bereiche, denen er mit seiner Berufswahl geschickt ausweichen wollte, fordern nun hartnäckig seine Aufmerksamkeit. Themen wie Sexualität, Beziehung zu Frauen und Übernahme von Verantwortung fürs eigene Leben beschäftigen ihn zunehmend. „Ich habe die Ordensexistenz immer mehr infrage gestellt“, erinnert sich Jellouschek. Depressionen und Sinnlosigkeitsgefühle quälen ihn. Was tun? Die Theologie aufgeben? Das kann er sich nicht vorstellen. Zumal sich zu dieser Zeit innerhalb der Kirche eine berufliche Möglichkeit für ihn auftut: die Erwachsenenbildung. Das, so merkt er, würde ihm Freude machen. Pädagogische und psychologische Themen interessieren ihn.

 

Doch dann wird aus dem Schwanken ein heftiger Sturm. Sein Leben gerät endgültig aus dem Tritt: Durch die Bekanntschaft mit Pio Sbandi, einem Jesuiten und Psychologen, nimmt er an einem gruppendynamischen Seminar teil und kommt mit der Welt der Emotionen und nahen Beziehungen in Kontakt - und auch mit dem anderen Geschlecht. In diesem Seminar lernt er Viktoria kennen und verliebt sich in sie. „Nun stand alles infrage", sagt Jellouschek. Obwohl diese erste Beziehung in seinem Leben von Anfang an nicht konfliktfrei ist, entschließt er sich, nach zehn Jahren dem Orden den Rücken zu kehren. Er ist 29 Jahre alt und hat vom Leben ziemlich wenig Ahnung.

 

Kein Wunder, dass dieser Schritt alles andere als ein Befreiungsschlag ist. „Die Zeit unmittelbar nach meinem Austritt gehört zum Schlimmsten, was ich erlebt habe“, sagt der Paartherapeut. Panikattacken und Suizidfantasien quälen ihn. Er hat Angst, es ohne den Orden nicht zu schaffen. Wohl auch deshalb bleibt er dem Theologiestudium treu, wird Assistent an der theologischen Fakultät der Universität Innsbruck und arbeitet auf die Promotion hin. 1969 heiratet er Viktoria und bald schon, „unerwartet", wird die erste Tochter geboren. Weil sein Herz nach wie vor mehr für die Erwachsenenbildung als für eine akademische Laufbahn schlägt, zieht die Familie nach Deutschland, wo Jellouschek in der Diözese Rottenburg-Stuttgart in die kirchliche Erwachsenenbildung einsteigt.

 

Doch noch immer ist der Rastlose beruflich nicht angekommen. Er sucht nach etwas, was er mit der Theologie nicht erreicht:,,dass Menschen heil werden können“. 1973 beginnt er zusätzlich eine Ausbildung zum Eheberater. Eine Entscheidung, an der wohl der Zustand seiner eigenen Ehe nicht ganz unschuldig ist. Zwar entschließen sich Hans Jellouschek und seine Frau Viktoria für ein zweites Kind, doch in der Ehe kriselt es. „Ich fühlte mich der Bedürftigkeit meiner Frau nicht gewachsen, war selbst nach den langen Ordensjahren so bedürftig, ängstlich und orientierungslos.“ Und noch einen anderen Grund macht Jellouschek rückblickend für die Probleme in seiner ersten Ehe verantwortlich: ,,Diese Partnerwahl war eine Protestwahl. Meine erste Frau war in allen Punkten das Gegenteil von meiner Mutter.“ Und Protestwahlen, das weiß der Paartherapeut heute, bringen fast immer Schwierigkeiten mit sich. „Eine Partnerwahl muss sich mit der eigenen Geschichte vertragen. Wenn es in diesem Punkt keine Kontinuität gibt, entsteht eine tiefliegende, oft nicht überbrückbare Fremdheit.“

 

Die Ehe scheitert. Jellouschek spürt eine ähnliche seelische Erschütterung wie nach dem Austritt aus dem Orden. Scheidung, das widerspricht seinen bisherigen Idealen und auch seiner Familientradition. Die Ehe ist ein Sakrament, sie gilt ihm als unantastbar. Hinzu kommen wieder Existenzängste: ,,Mir war klar, als Geschiedener kann ich in der Kirche nichts mehr werden, und wenn ich eine neue Beziehung eingehe, werde ich gekündigt.“

 

Und so kam es dann auch. Jellouschek war privat und beruflich heimatlos. Doch wie so oft in seiner Biografie entpuppt sich die Krise als Chance für einen Neubeginn. Diesmal ist es Klaus Antons, der damalige Leiter der Fortbildungsstelle im Psychotherapeutischen Zentrum Stuttgart-Sonnenberg, der Hans Jellouschek durch ein spannendes Angebot eine neue Perspektive eröffnet. Er wirbt ihn als Leiter der neugegründeten Familienberatungsstelle an und ermöglicht ihm den Ausstieg aus der Kirche als Arbeitgeber. Die Familientherapie ist zu dieser Zeit in Deutschland noch in den Kinderschuhen, es gibt kaum Berater, die mit Paaren oder Familien arbeiten. Um diese Richtung zu festigen, bieten Klaus Antons und sein Team einen Fortbildungslehrgang für Familientherapie an. Mitglied im Team ist auch Margarete Kohaus. Hans Jellouschek schätzt diese Frau, die er schon aus früheren Kursen kennt. Jetzt verliebt er sich in sie.

 

In Interviews wird Jellouschek heute immer wieder gefragt, ob er nach 30 Jahren Praxis den Glauben an die Liebe noch nicht verloren habe. Er wird nicht müde, eine Lanze für die Liebe, für das uneingeschränkte Ja zum Partner zu brechen. Aber er weist auch immer darauf hin, dass Liebe nicht einfach da ist, sondern dass Paare Bedingungen schaffen müssen, unter denen die Liebe gedeihen kann. Dass das nicht immer gelingt, weiß er nicht zuletzt aus eigener Erfahrung. Trotz seines kirchlichen und religiösen Hintergrunds hält er daher nichts vom Zusammenbleiben um jeden Preis.,,Beziehungen können selbstverständlich auch enden. Entweder weil die Liebesgrundlage zerstört ist oder weil man sich ganz einfach auseinandergelebt hat“, erklärt er. „Wenn sich die Partner nur noch in ihrer Entwicklung blockieren, kann eine Trennung sinnvoll und manchmal im Interesse der Gesundheit der Partner und des Wohlergehens der ihnen Anvertrauten sogar nötig sein.“ Die Sorge um die von einer Trennung betroffenen Kinder kann der Paartherapeut allerdings gut nachvollziehen. Schließlich waren seine beiden Töchter noch klein, als seine erste Ehe scheiterte. Aber wenn beide Eltern sich bemühen und sich ihrer Verantwortung für die Kinder bewusst sind und miteinander kooperieren, finden auch Scheidungskinder ihren Weg, meint Jellouschek. Seine Töchter sind beide sehr engagierte Ärztinnen geworden und machen ihre Facharztausbildung (Kinderheilkunde die eine, Unfallchirurgie die andere). „Es ist mir gelungen, trotz der Trennung über die Jahre ein sehr inniges Verhältnis zu ihnen aufzubauen, und meine erste Frau hat das auch immer unterstützt und gefördert."

 

1980 heiratet Hans Jellouschek zum zweiten Mal: Margarete Kohaus. Während die erste Ehe eine Protestwahl gegen die Mutter gewesen war, ist seine zweite Frau in ihrer Wesensart der Mutter sehr viel ähnlicher. Er erlebt das als eine Art innere Aussöhnung“ mit der allerersten Frau in seinem Leben. Heute betont Hans Jellouschek in seinen Werken immer wieder, wie wichtig die Aussöhnung mit der eigenen Herkunftsfamilie ist. Sie macht einen Menschen erst wirklich beziehungsfähig.

 

Solange man unerledigte Themen mit den Eltern hat, tauchen diese fast immer in der eigenen Paarbeziehung auf. Ausgesöhnt hat sich Jellouschek nicht nur mit der Mutter. Er hat mit der Zeit auch ein anderes Bild vom Vater gewonnen. „Mein Vater hat es geschafft, obwohl er Richter war, nicht Mitglied der NSDAP zu werden. Er war den Nazis immer sehr kritisch gegenüber. Dafür hat er einen Preis bezahlt: Er hat keine Karriere machen können. Er war kein Held, aber seine religiöse Überzeugung hat ihm Kraft gegeben, sich nicht auf den Nationalsozialismus einzulassen. Ich bewundere das heute, dass er das durchgehalten hat."

 

Seiner zweiten Frau Margarete verdankt Hans Jellouschek nicht nur einen entspannteren Umgang mit der Mutter. Sie hat ihn auch auf seinem beruflichen Weg wesentlich unterstützt. Margarete hat mir geholfen, in der Therapieszene Fuß zu fassen, sie hat mich auf dem Weg vom Theologen und Eheberater zum Psychotherapeuten ermutigt und gestärkt.“ Diesen Beistand hat er auch dringend nötig, als er die Leitung der Familienberatungsstelle übernimmt. Denn der erneute Identitätswechsel - „der vierte nach Jesuit, Universitätsassistent, Erwachsenenbildner" – ist anstrengend. Jellouschek lässt sich in Transaktionsanalyse und systemischer Therapie ausbilden. Dennoch fällt es ihm schwer, „neben die etablierten Psychoanalytiker des Psychotherapeutischen Zentrums, zu dem meine Stelle gehörte, zu treten und zu sagen: Ich bin auch ein Psychotherapeut." Sein Selbstverständnis als Psychotherapeut muss sich erst ausbilden. „Unglaublich geholfen dabei hat mir Theodor Seifert, bei dem ich in dieser Zeit eine jungsche Analyse machte und der mich sehr bestärkte, meine Identität als Therapeut zu entwickeln und zu bejahen.“

 

Der Psychoanalytiker Theodor Seifert ist es auch, der ihn zum Schreiben ermutigt. Jellouschek hat zwar schon vorher Texte veröffentlicht - Materialien für die Erwachsenenbildung und Predigten - nun aber schreibt er etwas völlig anderes. Im Rahmen einer Buchreihe ,, Weisheit im Märchen", die Seifert im Kreuz Verlag herausgibt, veröffentlicht Jellouschek sein erstes breitenwirksames Buch: Der Froschkönig. Ich liebe dich, weil ich dich brauche. Dieses Buch wird ein großer Erfolg, in dessen Folge er zum „Fachmann für Beziehungsfragen“ avanciert. In den nächsten Jahren erscheinen zahlreiche weitere Bücher, die um das Thema „Liebe und Partnerschaft“ kreisen: Die Kunst, als Paar zu leben; Die Rolle der Geliebten in der Dreiecksbeziehung; Warum hast du mir das angetan? Untreue als Chance; Liebe auf Dauer - um nur einige Titel zu nennen. Wieder erobert er sich äußerst erfolgreich ein neues Gebiet: Jellouschek ist Bestsellerautor.

 

„Für mich war Schreiben schon immer eine Bewältigungsmöglichkeit“, sagt er. Nicht alle, aber doch einige Bücher haben etwas mit seinem eigenen Leben zu tun. Vor allem das erste Buch, Der Froschkönig, aber auch das Buch Mit dem Beruf verheiratet. Das Problem der Work-Life-Balance kennt Jellouschek aus eigener Erfahrung gut. „In meiner ersten Ehe habe ich aus Existenzangst zu viel Energie für den Beruf aufgewandt und die Familie vernachlässigt. Und auch in meiner zweiten Ehe haben sowohl Margarete wie auch ich immer wieder zu viel gearbeitet und uns zu wenig Freiräume verschafft."

 

Die Schwierigkeit, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, sieht Jellouschek als ein Hauptproblem von modernen Paaren an. Wobei die Männer seiner Ansicht nach den schwierigeren Part haben. „Männer sind heute aufgeschlossener für dieses Thema, aber dadurch verschärft sich ihre Situation. Denn diese Aufgeschlossenheit findet meist in ihrer betrieblichen Realität kein Echo. Dazu wirken noch traditionelle internalisierte Männer- und Väterbilder, die das Dilemma zusätzlich verstärken." In seiner Praxis sieht Jellouschek immer wieder Paare, die ihm Symptome wie ständige Streitigkeiten oder sexuelle Konflikte präsentieren, aber nicht erkennen, dass ihr eigentliches Problem in einer nicht gelungenen Work-Life-Balance liegt. Wie kann diesen Paaren geholfen werden? „Mein Anliegen ist, dass Partner sich das Problem nicht gegenseitig in die Schuhe schieben, sondern lernen, wie sie gemeinsam an einem Strang ziehen können, um so den nicht so leicht zu verändernden gesellschaftlichen Bedingungen Paroli zu bieten."

 

Keines seiner Bücher ist so eng mit seinem eigenen Leben verbunden wie das Buch mit dem berührend-schönen Titel Bis zuletzt die Liebe. Es handelt vom Sterben und vom Tod. 1982 erkrankt Margarete Kohaus-Jellouschek an Lymphdrüsenkrebs. Sie bekämpft die Krankheit zunächst erfolgreich. Viele Jahre lebt das Paar mit der Bedrohung und setzt sich intensiv damit auseinander. „Ich habe damals die Erfahrung gemacht, dass man sich mit psychologischen Aspekten auch das Leben schwer machen kann. Nämlich dann, wenn man fragt: Was habe ich falsch gemacht, dass ich krank geworden bin? Oder: Was machen wir in unserer Beziehung falsch? Mit solchen Fragen haben Margarete und ich uns anfangs auch gequält. Durch meine Kollegin, die Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin, bekamen wir jedoch eine positive Einstellung zur Krankheit. Sie hat uns nahegebracht, dass dies sehr destruktive Fragen sind und wir besser fragen sollten: Wie können wir die Situation gut bewältigen? Oder auch: Wozu fordert uns die Krankheit heraus? Was haben wir bisher in unserem gemeinsamen Leben vernachlässigt?"

 

Die Behandlungen schlagen an. „Totalremission“ steht in dem Gutachten nach der Chemotherapie. Acht Jahre hält die Krankheit still. Doch 1994 verschlechtert sich der Zustand von Margarete, vier Jahre später stirbt sie. Eigentlich wollten beide zusammen ein Buch über das Leben mit Krebs und die Bewältigung dieser Krankheit schreiben. Nun nutzt Hans Jellouschek das geplante Projekt, um seine Trauer schreibend zum Ausdruck zu bringen und damit zu bewältigen. Bis zuletzt die Liebe. Diese Liebe, sagt Jellouschek, „hat etwas in mir heil gemacht, was früher nicht heil war". Der Verlust ist schrecklich, aber wir sind diesen langen Weg mit offenen Augen gegangen. Wir haben über alles gesprochen, nichts war tabu. Das war eine zentrale Erfahrung, sie hat mir den Tod nähergebracht“, sagt Jellouschek heute. Das empfindet er als Geschenk, aber gleichzeitig auch als „harte Konfrontation, wenn man realisiert, dass die Zeit, die einem zum Leben bleibt, viel kürzer ist als die Zeit, die man schon gelebt hat. Es macht die Endlichkeit so bewusst. Gerade wenn man sehr im Einklang mit sich und dem Leben ist, dann will man, dass es so bleibt."

 

Hans Jellouschek ist heute mit seinem Leben im Einklang wie vielleicht noch nie zuvor: ,,Jetzt ist die intensivste Phase meines Lebens“, sagt er. Vor einigen Jahren erkrankte er an Prostatakrebs. Er fand das damals „saudoof", denn er war gerade frisch verheiratet. Zum dritten Mal hatte er sich getraut. „Ich war nicht darauf aus, noch einmal zu heiraten“, stellt er klar. „Das ist mir halt wieder, wie so vieles in meinem Leben, glückhaft passiert.“ Die Krankheit stellte sein neues Leben gleich auf eine harte Probe. Doch zu viel Raum wollte er ihr nicht einräumen. Deshalb hat er, wie er sagt,„schnell radikale Entscheidungen getroffen: Operation, Bestrahlung, das ganze Programm.“ Heute hat er das Gefühl, dass seine Gesundheit wieder völlig hergestellt ist. Was ihn zusätzlich beruhigt: „Mir sagen die Ärzte, dass man in meinem Alter nicht an Prostatakrebs stirbt."

 

Jellouscheks dritte Frau, die früher als Hebamme tätig war, hat wie er eine Ausbildung in Transaktionsanalyse und Paartherapie. Sie lebt und arbeitet mit ihm in dem Haus, das nach den Vorstellungen von Margarete Kohaus-Jellouschek erbaut wurde und das einen weiteren Neuanfang im Leben von Hans Jellouschek symbolisiert: den Schritt in die Selbständigkeit, den er Ende der 1980er Jahre gewagt hat. Therapie- und Ausbildungsgruppen finden hier statt, ebenso wie Einzel- und Paartherapien. Anders als mit Margarete arbeitet Jellouschek mit seiner dritten Frau ganz bewusst nicht so eng zusammen. Er hält Abstand. „Sie hat ihren eigenen Stil und geht ihren eigenen Weg." Ohnehin hat sich sein Schwerpunkt in den letzten Jahren gewandelt - weniger Paartherapie, mehr Fortbildung. Der von ihm zunächst mit Margarete Kohaus-Jellouschek, heute mit seinen Kolleginnen Marianne Walzer und Friedericke von Tiedemann angebotene Jahreskurs „Systemisch-integrative Paartherapie“ hat sich zu einem wahren Renner entwickelt. Aktuell findet der 26. Kurs statt.

 

Ein Leben voller Wandlungen. Wird noch eine Wandlung kommen, wenn er älter wird? „Das weiß ich nicht. Die Arbeit, die ich mache, kann ich bis ins hohe Alter fortsetzen. Im Moment habe ich keine wesentlichen Akzentverschiebungen vor.“ Aber natürlich hat er Pläne. Sein neuestes Buch beschäftigt sich mit dem Thema „Paare 60 plus“. Wenn die Kinder längst erwachsen und der Beruf Vergangenheit ist, was verbindet dann noch ein Paar? „Die gewohnten Muster geraten durcheinander. Männer entwickeln plötzlich ein Bindungsbedürfnis, das die Frauen überrascht, weil sie gerade ihr Autonomiebedürfnis entdecken", erklärt der Paartherapeut. „Ausgerechnet alternden Paaren ist zugemutet, noch einmal ein ganz neues Beziehungskonzept zu finden.“

 

Und dann spukt da noch eine Idee in seinem Kopf herum, die, sollte sie verwirklicht werden, ebenfalls einen Kreis schließen würde. „Ich habe den Eindruck, dass Menschen zunehmend nach transzendenten Erfahrungen suchen, dass aber die Gefahr besteht, dass sie damit alleingelassen werden. Mich beschäftigt die Frage: Wie kann eine religiöse Einstellung wirklich möglich sein mit dem heutigen Lebensgefühl und den heutigen Erkenntnissen über die Welt und die Menschen?“ Das Thema interessiert ihn, sagt er und fügt hinzu: „Ich fühle mich ja immer noch als Theologe.“

 

Was bedeutet eigentlich für ihn persönlich „Transzendenz“? Jellouschek muss nicht lange nachdenken. Mit Blick auf die vielen Höhen und Tiefen in seiner Biografie meint er: „Ich habe in meinem Leben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es weitergeht. Und dies ist für mich auch eine religiöse Erfahrung. Jede Krise bietet die Chance zu neuer Entwicklung. Da entsteht für mich Transzendenz, nicht irgendwo im Himmel, sondern in der Möglichkeit, dass es positiv weitergeht."

 

 

Bücher von Hans Jellouschek - eine Auswahl

 

Ich liebe dich, weil ich dich brauche. Der Froschkönig. Kreuz Verlag 2001

Die Rolle der Geliebten in der Dreiecksbeziehung, Kreuz Verlag 2004

Wie Partnerschaft gelingt - Spielregeln der Liebe. Herder TB 2005

Die Kunst als Paar zu leben. Kreuz Verlag 2005

Die Paartherapie. Eine praktische Orientierungshilfe! Kreuz Verlag 2005

Wie man besser mit den Wünschen seiner Frau umgeht. Vom Fischer und seiner Frau. Kreuz Verlag 2006

Die Froschprinzessin. Wie ein Mann zur Liebe findet. Kreuz Verlag 2006

10 Liebesregeln für das Glück. Kreuz Verlag 2007

Mit dem Beruf verheiratet. Kreuz Verlag 1997